Martin Gollmer
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Themen - Energie


25-05-2011 | Schweizer Bundesrat postuliert Atomausstieg


Der Bundesrat will auf neue Atomkraftwerke verzichten und setzt auf erneuerbare Energien. Die exakte Umsetzung der Pläne ist indes noch offen – wie auch der politische Ausgang der Atomdebatte. Der Entscheid hat historische Dimensionen – und ist richtig.

Von einem «historischen Tag» sprach Energieministerin Doris Leuthard, als sie am Mittwoch, 25. Mai 2011,  die Medien ĂĽber die neue Energiestrategie des Bundesrats informierte. An einer Klausursitzung hatte die Landesregierung zuvor beschlossen, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen. Die bestehenden Atomkraftwerke sollen noch bis zum Ende ihrer Laufzeit Strom produzieren, danach aber ersatzlos vom Netz genommen werden. Damit mĂĽssten die AKW Beznau und MĂĽhleberg 2019 und 2022 die Meiler in Gösgen und Leibstadt 2029 und 2034 abgeschaltet werden.

Die Energieministerin machte deutlich, dass der Reaktorunfall in Fukushima den Bundesrat zur energiepolitischen Neuausrichtung bewogen hatte. «Wir haben einen Gau erlebt, und das Restrisiko hat sich manifestiert», erklärte sie. Leuthard machte auch ökonomische Gründe geltend. Denn die bisher günstige Atomenergie werde ihre komparativen Vorteile gegenüber erneuerbaren Energien einbüssen. Aufgrund strengerer Sicherheitsbestimmungen, steigender Risikoprämien und hoher Investitionskosten verteure sich die Atomenergie, während die Gestehungskosten der Photovoltaik abnähmen. Langfristig könnten sich die Preise angleichen, sagte Leuthard, wobei sie einräumte, dass der Atomausstieg den ohnehin absehbaren Anstieg der Strompreise zusätzlich verstärken würde.

Mittleres Szenario obsiegte

Mit dem Entscheid für einen mittelfristigen Ausstieg hat sich der Bundesrat für das mittlere von drei Szenarien entschieden. Nicht in Frage kam laut Leuthard der sofortige Ausstieg. Eine frühzeitige Abkehr von der Kernkraft sei aus Sicherheitsgründen nicht nötig und hätte die Versorgungssicherheit gefährdet. Verworfen hat der Bundesrat aber auch das Szenario, das am bisherigen Energiemix festgehalten hätte. Entsprechend lehnte er auch den Vorschlag der Wirtschaftsverbände ab, welche die Option Kernenergie mit einem Moratorium offen halten wollten. «Wenn wir zögern, werden sich viele potenzielle Investoren in erneuerbare Energien zurückhalten», erklärte Leuthard.

Offen ist der Ausgang der nun folgenden politischen Ausmarchung. An einer ausserordentlichen Session am 8. Juni wird zunächst der Nationalrat den Atomausstieg diskutieren. Den Grundsatzentscheid für den Ausstieg verlangen zwei Motionen aus den Reihen von CVP und BDP. Während SP, Grüne, BDP und CVP die Motionen befürworten, stellen sich FDP und SVP gegen den Ausstieg. Ausschlaggebend wird die Anzahl Abweichler in den Reihen von CVP und FDP sein. Offen ist auch die Haltung des Ständerats, der am 16. Juni eine Atomdebatte abhält, die entscheidenden Motionen aber erst im September behandeln könnte, sofern ihnen der Nationalrat zustimmt.

Volk hat das letzte Wort

Eine Botschaft zur neuen Energiepolitik will der Bundesrat erst im Sommer oder Herbst 2012 in die Vernehmlassung schicken, wie Leuthard erklärte. Sie stellte eine Gesetzesrevision in Aussicht, wobei neben dem Kernenergiegesetz auch andere Erlasse betroffen sein dürften. Das Parlament könnte sich 2013 der Vorlage annehmen, anschliessend wäre ein Referendum möglich, womit das Volk das letzte Wort hätte.

Den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie will der Bundesrat mit der Energiestrategie 2050 ermöglichen. Die Regierung setzt dabei auf einen Mix aus zahlreichen Massnahmen. Im Vordergrund steht ein Effort beim Stromsparen und bei den erneuerbaren Energien. Eine ökologische Steuerreform will er erst prüfen lassen. Wie er in seinen Medieninformationen schreibt, lässt er prüfen, ob er für den auf 2 bis 4 Milliarden Franken veranschlagten Umbau der Stromversorgung eine Förderabgabe beziehungsweise einen Stromrappen einführen will. Konkrete Vorschläge dazu will der Bundesrat im Herbst vorlegen.

Stromkonsum stabilisieren

Gemäss der bundesrätlichen Ausstiegsstrategie muss die Schweiz in den nächsten Jahren vor allem auch Strom sparen. Laut heutigen Prognosen steigt die Stromnachfrage bis ins Jahr 2050 auf jährlich rund 90 Milliarden Kilowattstunden (2010: rund 60 Milliarden kWh). Der Bundesrat will diesen Trend mittels Effizienzmassnahmen brechen. Ziel sei, den Stromverbrauch einigermassen zu stabilisieren, sagte Leuthard.

Der Bundesrat möchte dazu unter anderem die Mindestanforderungen für Geräte verschärfen, Bonus-Malus-Mechanismen einführen sowie die Informationskampagnen der Energie-Sparagentur EnergieSchweiz ausbauen. Gleichzeitig will der Bundesrat das Stromangebot verbreitern. Der Bundesrat will dabei vor allem auf den Ausbau der Wasserkraft und der erneuerbaren Energien setzen. Dazu dient in erster Linie die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV).

Gaskraftwerke nicht prioritär

Es brauche aber auch einen Ausbau der fossilen Stromproduktion. Hier steht aber für den Bundesrat nicht der Bau von Gaskombikraftwerken im Vordergrund, sondern die Stromproduktion durch Wärmekraftkopplung. An den klimapolitischen Zielen wolle er festhalten, schreibt der Bundesrat in den Medienunterlagen.

Damit die Stromversorgung mit diesem Strommix überhaupt funktionieren kann, will der Bundesrat die Stromnetze ausbauen. Dazu brauche es sogenannt intelligente Netze, die eine Optimierung des Stromsystems ermöglichten. Das Schweizer Netz müsse dazu optimal an das europäische Netz sowie an das künftige europäische «Supergrid» angebunden werden.

Noch dieses Jahr strebt der Bundesrat in diesem Zusammenhang den Abschluss der Strom-Verhandlungen mit der EU an. Ausserdem soll die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern ausgebaut werden.

Forschung intensivieren

Zur Unterstützung des Umbaus des Energiesystems will die Regierung auch die Energieforschung verstärken. Dazu sollen die Aktivitäten der Eidgenössischen Technischen Hochschulen und in den Fachhochschulen überprüft sowie die Zusammenarbeit zwischen Forschung, Wirtschaft und Verwaltung verstärkt werden. Für Pilot- und Demonstrationsanlagen will der Bund die nötigen Mittel zur Verfügung stellen.

Ganz allgemein soll die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen. Bund, Kantone, Städte und Gemeinden sollen ihren Eigenbedarf an Strom und Wärme weitgehend durch erneuerbare Energien decken. Auch die Wirtschaft wird aufgefordert, Massnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs zu treffen.

Bundesrat entschied richtig

Der Entscheid des Bundesrats ist richtig. Atomkraft ist eine gefährliche Energie. Die Unfälle in Tschernobyl und Fukushima haben es gezeigt. Sie konnten nicht verhindert werden, obwohl die Produktion von Energie in Nuklearreaktoren von ausserordentlichen Sicherheitsmassnahmen begleitet ist. Geschieht trotzdem einmal ein Unfall, sind die Auswirkungen katastrophal: Weite Gebiete werden verstrahlt und für Mensch und Tier auf Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hinaus unbewohnbar. Gewiss, auch andere Energieerzeugungsarten haben ihre Gefahren. Eine Staumauer eines Wasserkraftwerks kann wegen eines Erdbebens brechen. Aber am Tag danach kann mit den Aufräumarbeiten begonnen werden. Und Leben ist in der betroffenen Region weiterhin möglich.

Zudem ist die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle aus Atomkraftwerken auch Jahrzehnte nach dem Beginn der friedlichen Nutzung von Kernenergie nicht gelöst. Niemand will ein solches Abfalllager in seiner Nähe. Könnte ein Lager trotzdem realisiert werden, wären enorme Sicherheitsmassnahmen notwendig, um eine allfällige Kontaminierung der Umwelt zu verhindern und verbrecherische oder terroristische Attacken auf die Anlage zu verunmöglichen. Diese Sicherheitsvorkehrungen müssten wiederum auf Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hinaus Bestand haben.



Medienmitteilung des Bundesrates

Faktenblatt zu den Energieperspektiven 2050