Martin Gollmer
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Themen - Schweiz / Europa


16-05-2012 | Vorschlag zur Gestaltung des Verhältnisses Schweiz-EU


Keine supranationalen Behörden, dafür eine speditive Übernahme von EU-Recht: So will der unabhängige Think-Tank Foraus den Bilateralismus weiterentwickeln.

Die Schweiz und die EU kommen auf dem bilateralen Weg nicht mehr weiter. Die Denkfabrik «foraus» (Forum Aussenpolitik) hat einen konkreten Vorschlag zu den umstrittenen institutionellen Fragen ausgearbeitet. Er wurde am Mittwoch, 16. Mai 2012, der Öffentlichkeit vorgestellt und im Rahmen einer Veranstaltung an der Universität Zürich diskutiert.

Die Denkfabrik präsentiert ihre Ideen in Form eines ausformulierten Entwurfs für ein Rahmenabkommen. Es enthält übergeordnete Grundsätze und Prinzipien, die auf verschiedene bilaterale Verträge angewendet werden können, jedoch nicht zwingend auf alle. Der Bundesrat hingegen möchte zuerst eine institutionelle Lösung für das geplante Stromabkommen finden und diese bei Erfolg auf weitere Verträge ausdehnen.

Die Autoren präferieren ein Regime, das sich am Status quo orientiert. Der EWR dient zwar bei manchen Mechanismen als Referenz, aber eine (Teil-)Integration in den EWR wird nicht in Betracht gezogen. Supranationale Institutionen sind nicht vorgesehen. Die Konfliktlösung findet in einem «Bilateralen Ausschuss» auf Ministerebene statt. Nachfolgend die wichtigsten Elemente des Musterabkommens:

  • Rechtsübernahme: Die Schweiz übernimmt neues EU-Recht nicht automatisch (das ist auch im EWR nicht der Fall), sondern sie informiert die EU, ob sie die Rechtsakte umsetzt. Bei referendumsfähigen Beschlüssen gelten Fristen von bis zu drei Jahren. Ist die Schweiz nicht bereit, den entsprechenden Rechtsakt zu übernehmen, wird das entsprechende bilaterale Abkommen vorläufig ausser Kraft gesetzt. Eine ähnliche Regelung existiert im Schengen-Assoziierungsabkommen.
  • Mitwirkungsrechte: Die Schweiz wird von der Kommission bei der Fortentwicklung des relevanten Binnenmarkt-Rechts gleichermassen informiert und zu Rate gezogen wie die EU-Mitgliedstaaten. Sie erhält grundsätzlich die gleichen Rechte wie die EWR-Staaten.
  • Rechtsprechung: In diesem Bereich ändert das Rahmenabkommen wenig. Das Bundesgericht soll der EU-Rechtsprechung «Rechnung tragen», und es kann mit dem Europäischen Gerichtshof einen informellen Dialog führen.
  • Ãœberwachung: Eine «Bilaterale Ãœberwachungsbehörde», die durch den Bundesrat bestellt wird, beobachtet die Umsetzung der Verträge durch die Schweiz und kann Verletzungen vor dem Bundesgericht einklagen. Beschwerden von Privatpersonen wie bei der supranationalen Efta-Ãœberwachungsbehörde sind nicht vorgesehen. Eine nationale Ãœberwachungsbehörde schwebt auch dem Bundesrat vor, wobei die Bundesversammlung als Wahlgremium vorgesehen ist.

Der Entwurf kommt den Forderungen der EU nach Homogenität im gemeinsamen Markt teilweise entgegen. Brüssel hält sich zurzeit bedeckt, weil die vom Bundesrat am 25. April 2012 beschlossenen Grundsätze für Verhandlungen noch in der Vernehmlassung sind. EU-Botschafter Richard Jones deutete in einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung» aber an, dass die Kommission in einem Kernpunkt nicht so leicht nachgeben wird: «Es gehört zu den Prinzipien des Binnenmarkts, dass im Streitfall keiner der Beteiligten über sich selbst richtet.» Für Jones ist der EWR ein effektives System, weil die Rechtsprechung wie in der EU nicht an die Mitgliedstaaten delegiert ist.

Text: Simon Gemperli, Neue Zürcher Zeitung

 

 



foraus-Vorschlag für ein Musterabkommen Schweiz-EU