Martin Gollmer
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Themen - Schweiz / Europa


30-11-2009 | EU-Beitrittsabstimmung nicht ĂĽbers Knie brechen


Weil die EU-BefĂĽrworter nur redeten, aber nicht handelten, mĂĽssten jetzt die EU-Skeptiker mit einer Volksabstimmung Klarheit ĂĽber die WĂĽnschbarkeit eines EU-Beitritts der Schweiz schaffen, fordert die "Weltwoche".

Die „Weltwoche“ fordert eine Volksabstimmung über den Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union (EU), damit die „inhaltsleere Debatte über die Lancierung einer Europa-Debatte“ beendet und endlich bestimmt werden könne, ob der EU-Beitritt unausweichlich sei oder nicht.

Anlass der Forderung der „Weltwoche“ sind die sich häufenden Positionsbezüge von eidgenössischen Politikern (u.a. Bundesrat Leuenberger), Spitzenbeamten des Bundes (u.a. Walter Stoffel, Präsident der Wettbewerbskommission, und Thomas Zeltner, Direktor des Bundesamtes für Gesundheit), Experten (u.a. Historiker Georg Kreis und Publizist Roger de Weck) und Lobbygruppen (Club Helvétique, Neue Europäische Bewegung Schweiz) zugunsten eines EU-Beitritts der Schweiz vor dem Hintergrund sich akzentuierender Schwächen des bilateralen Weges. Die „Weltwoche“ wirft diesen Personen und Gruppen vor, sie seien „Maulhelden“: Laut würden sie Dringlichkeit einer europapolitischen Wende beschwören, schreckten aber vor konkreten Handlungen zurück. Wenn jedoch die Beitrittsfraktion sich weigere, Klarheit herbeizuführen, dann müssten halt die Skeptiker dies mit einer Volksabstimmung tun. Ein knappes Jahrzehnt nach den letzten europapolitischen Grundsatz-Abstimmungen sei „eine neue Weichenstellung an der Zeit und kein Verstoss gegen demokratische Entscheide“.

Es erstaunt, dass ein debattierfreudiges Blatt wie die „Weltwoche“ zum Abbruch der Europa-Debatte aufruft, bevor diese richtig begonnen hat. Genau daran nämlich fehlt es der Schweiz seit dem Volksnein zum Mitmachen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Ende 1992, dass offen und breit über die europapolitischen Alternativen unseres Landes diskutiert werden kann. Unter dem Meinungsterror der von der SVP angeführten nationalkonservativen Rechten ist eine dieser Alternativen - der EU-Beitritt - zu einem Tabu geworden; wer ihn trotzdem erwähnt, wird in die Nähe eines Verräters an den staatspolitischen Idealen der Schweiz gerückt.

Das Tabu wirkt so stark, dass der Bundesrat den EU-Beitritt von einer strategischen Frage zu einer blossen aussenpolitischen Option herabgestuft hat und dass Regierungsparteien wie CVP und FDP Positionspapiere, in dem sie den EU-Beitritt Aussicht stellen, inzwischen als heisse Kartoffeln behandeln, die es am besten nicht mehr anzufassen gilt. FDP-Parteipräsident Fulvio Pelli hält neuestens jede Diskussion über den EU-Beitritt als „nicht zielführend“ und „fruchtlos“. Selbst die SP wagt ihre Forderung nach einem EU-Beitritt kaum mehr zu erwähnen.

Stattdessen wird der nach dem EWR-Nein als Notlösung eingeschlagene Weg von bilateralen, sektoriellen Abkommen mit der Europäischen Union überhöht. Dieser Weg habe sich „bewährt“ und sei vom Schweizer Stimmvolk mehrfach bestätigt worden, wird pauschal argumentiert. Verschwiegen wird dabei meistens, dass die Schweiz mit bilateralen Verträgen immer mehr EU-Recht nachvollzieht, ohne an dessen Zustandekommen beteiligt gewesen zu sein – ein bedenklicher Zustand für ein Land, das sich seit Wilhelm Tell stolz darauf beruft, souverän zu sein und sich nicht von fremden Leuten bestimmen zu lassen. Einzige namhafte Partei, die selbst gegen diese minimale Europapolitik Opposition macht, ist wiederum die SVP. Aber nicht, weil die Schweiz zunehmend in die Rolle eines EU-Satelliten gerät, sondern weil das ungeliebte Freizügigkeitsabkommen selbst im Wirtschaftsabschwung die ungebremste Zuwanderung von EU-Ausländern zulässt.

In dieser Situation ist eine offen geführte und breit angelegte Diskussion über die zukünftige Europapolitik der Schweiz mehr als angebracht. Wir kennen jetzt die wichtigsten Vor- und Nachteile des Bilateralismus. Zudem ist die Entwicklung der Europäischen Union mit dem Beitritt der meisten mittelosteuropäischen Staaten und dem Inkrafttreten des Reformvertrags von Lissabon weitgehend und wahrscheinlich für längere Zeit abgeschlossen, so dass auch hier eine Standortbestimmung möglich ist. Eine Beitrittsabstimmung sollte jedoch erst durchgeführt werden, wenn diese Diskussion stattgefunden hat und allfällig daraus folgende Beitrittsverhandlungen abgeschlossen sind. Nur so kann sichergestellt werden, dass in voller Kenntnis der Folgen eines EU-Beitritts entschieden wird und nicht vor allem aufgrund von Behauptungen und Emotionen.

Quelle: Weltwoche, 26. November 2009



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