Martin Gollmer
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Themen - Schweiz / Europa


19-09-2010 | Mutloser Bundesrat hält am Bilateralismus mit der EU fest


Der Bundesrat hat am 17. September 2010 den Bericht über die schweizerische Europapolitik in Beantwortung des Postulats Markwalder verabschiedet. Der Bericht wurde nach der Europaklausur des Bundesrates vom 18. August 2010 bereinigt. Dort hatte der Bundesrat beschlossen, dass die Schweiz ihr Verhältnis zur Europäischen Union (EU) weiterhin auf der Grundlage bilateraler sektorieller Abkommen gestalten soll.

Wer dem Bundesrat vorwerfen will, er bereite insgeheim den EU- oder EWR-Beitritt der Schweiz vor, möge dies tun – der am 17. September 2010 nach zähem Ringen um Formulierung verabschiedete Europabericht enthält jedenfalls keine Anhaltspunkte für diese Theorie. Eine Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) fällt wegen des Autonomieverlusts durch die automatische Übernahme des EU-Rechtsbestands (Acquis communautaire) durch. Bei einer EU-Mitgliedschaft macht für den Bundesrat die Mitbestimmung in Brüssel die wirtschaftlichen Kosten und die Auswirkungen auf das politische System nicht wett.

Das partielle Andocken an die EU mit bilateralen sektoriellen Abkommen habe sich bewährt, schreibt der Bundesrat in dem Bericht. Eine Analyse der jüngsten Entwicklungen in den einzelnen Politikbereichen stützt diese Sicht. Zum aussenpolitischen Spielraum, zur Souveränität und zur Zukunft des bilateralen Wegs generell äussert sich der Bundesrat aber weniger optimistisch als früher.

Die im Europabericht 2006 aufgestellten Bedingungen für eine Weiterführung des bilateralen Wegs (Mitentscheidung, Bereitschaft der EU, wirtschaftlicher Nutzen) seien zwar nach wie vor erfüllt. Die EU dränge aber immer mehr auf eine automatische Übernahme des EU-Rechts und seiner Weiterentwicklung. Diese Tendenz wird im Bericht ausführlich thematisiert und mit vielen Beispielen belegt.

Die automatische Übernahme von EU-Recht hat der Bundesrat aber bisher kategorisch ausgeschlossen. Es ist deshalb absehbar, dass angesichts unvereinbarer Standpunkte der bilaterale Weg bald einmal in eine Sackgasse führt. Dass der Bundesrat trotzdem daran festhält, ist kurzsichtig. Es ist nur damit zu erklären, dass die Alternativen schon einmal in einer Volksabstimmung durchgefallen sind (EWR-Beitritt) bzw. in einer Volksabstimmung zurzeit bachab geschickt würden (EU-Beitritt). Dass dem so ist, ist darauf zurückzuführen, dass der Bundesrat und der Grossteil der politischen Kräfte in der Schweiz mutlos und opportunistisch die Waffen gestreckt haben vor der Anti-EU-Rhetorik der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Aktion für eine unabhängige Schweiz (Auns).

Dabei wäre es höchste Zeit, dass der schweizerischen Bevölkerung reiner Wein eingeschenkt wird. Die als „autonomer Nachvollzug“ verbrämte Übernahme von EU-Recht ohne Mitbestimmung bei dessen Ausarbeitung im Rahmen des bilateralen Wegs ist eines souveränen Staates unwürdig. Die in den Bilateralismus eingebaute Streitschlichtung in politischen Ausschüssen schafft mehr Rechtsunsicherheit als –sicherheit bei den wirtschaftlichen Akteuren. Das Abseitsstehen beim Euro, der EU-Einheitswährung, schwächt angesichts der Neigung des Frankens zur Stärke die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Exportindustrie und beschert der schweizerischen Nationalbank, die die Aufwertungstendenz des Frankens mit Eurokäufen brechen muss, Milliardenverluste.

Die Schweiz gehört in die EU. In ihrem Herzen liegend, ist sie mit ihr kulturell, politisch und wirtschaftlich aufs Engste verflochten. Als aus vier Sprachkulturen, verschiedenen politischen Strömungen und 26 Kantonen bestehende Willensnation ist die Schweiz aufs Beste vorbereitet für die auf alle Seiten Rücksicht nehmende Entscheidungskultur in einem Gebilde mit über zwei Dutzend höchst unterschiedlichen Mitgliedstaaten. Die humanitäre Tradition der Schweiz, ihre Sozialpartnerschaft und ihr regionaler Finanzausgleich passen hervorragend ins Streben der EU nach Frieden in Freiheit, nach wirtschaftlicher Prosperität für alle und nach Solidarität der reicheren mit den ärmeren Mitgliedstaaten. Die Schweiz ist in Europa kein Sonderfall, sondern eine EU im Kleinen.



Europabericht des Bundesrates