Martin Gollmer
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Themen - Journalismus & Medien


16-08-2010 | Qualitätsverlust der Schweizer Medien


Die schweizerischen Medien befinden sich mitten in einem fundamentalen Transformationsprozess: Die Verschiebung der Mediennutzung zu einer Online- und Offline-Gratiskultur fördert zusammen mit der massiv verschlechterten finanziellen Situation eine Qualitätserosion. Dies zeigt das erste Jahrbuch „Qualität der Medien – Schweiz Suisse Svizzera“, das vom fög – Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft/Universität Zürich herausgegeben wird.

Im einstigen „Presseland Schweiz“ verlieren die in publizistischer Hinsicht zentralen Abonnementszeitungen bezĂĽglich Auflagen, Nutzung und Einnahmen deutlich an Terrain und die redaktionellen Ressourcen schwinden. Gleichzeitig hat die Gratiskultur mit den Onlinemedien und den Pendlerzeitungen auf Seiten der Konsumenten das Kostenbewusstsein fĂĽr professionellen Journalismus zerstört. Dies unterminiert die Qualität der Informationsmedien, befördert den Konzentrationsprozess, schwächt das Berufsprestige und erhöht die Unzufriedenheit der Journalisten. Ausserdem ergeben sich durch das Qualitätsgefälle zwischen schwindenden  Bezahl- und wachsenden Gratismedien unterschiedliche Aufmerksamkeitslandschaften fĂĽr die entsprechenden Publikumsgruppen. Durch diese Entwicklungen wird der wichtigste Service Public in der Demokratie geschwächt: Denn die Qualität der demokratischen Auseinandersetzung ist von den Vermittlungsleistungen der Informationsmedien abhängig.

Qualitätsschwache Medien im Vormarsch

Die publizistische Versorgung durch qualitätsschwache Gratismedien Online wie Offline hat in der Schweiz markant zugenommen, während die Kaufpresse in einer grundsätzlichen Finanzierungskrise steckt. Die Nutzung von Gratiszeitungen und Onlinemedien wird im Vergleich zur Abonnementspresse sowie dem öffentlichen Radio und Fernsehen weiter zunehmen, da vor allem jüngere Altersgruppen zwischen 15 und 34 in einer Gratiskultur sozialisiert wurden, in der das Episodische und der Human Interest ein ungleich höheres Gewicht hat. Dies gilt gerade auch für die Online-Newssites, die von der Reputation der Medientitel leben, aber nicht über genügend Ressourcen verfügen, um journalistischen Qualitätsanforderungen zu genügen.

Die Untersuchung der Qualität der Medien vollzieht sich auf zwei Ebenen. Erstens wird die publizistische Versorgung, d.h. die Nutzung, die Abdeckung, die Einnahmen und die Besitzverhältnisse der Informationsmedien in der Schweiz, untersucht. Im Jahre 2009 handelte es sich hierbei um 137 Medientitel. Zweitens werden die bedeutendsten Titel aller Mediengattungen einer inhaltlichen Qualitätsvalidierung unterzogen. Dies betrifft ein Teilsample der 46 bedeutendsten Medientitel der Mediengattungen Presse, Radio, Fernsehen und Online in den drei grossen Sprachregionen der Schweiz.

Die wichtigsten Ergebnisse der Qualitätsstudie sind:

  • Grosse Qualitätsunterschiede und –defizite: Die Informationssendungen der öffentlichen audiovisuellen Medien (v.a. das Radio, etwas weniger das Fernsehen) und die Abonnementszeitungen steuern am meisten Themen von gesellschaftlicher Relevanz bei. So sind die Kommunikationsereignisse, die sich auf gewichtige und komplexe Gesetzgebungsprozesse beziehen, sowie die Beleuchtung aussen- und wirtschaftspolitisch relevanter Themen vor allem auf das öffentliche Radio und auf die Abonnementspresse zurĂĽckzufĂĽhren. Dagegen konzentrieren sich die Boulevard- und Gratiszeitungen, die Privatsender sowie die Onlinemedien primär auf Partikuläres und bewirtschaften vor allem personenzentrierte Human Interest- oder Sportthemen. Insofern sind bei den Boulevardzeitungen und den privaten TV-Sendern, insbesondere aber bei den Gratiszeitungen und den Onlinemedien, die Vielfalt und Relevanz stark eingeschränkt, und die Forumsfunktion, d.h. der argumentative Austausch und die Auswahl der Themen, die um eine politische Lösung kandidieren, wird nur bedingt erfĂĽllt.
  • Wachsende Binnenorientierung auf Kosten der Auslandberichterstattung: Ausgerechnet im Zeitalter der Globalisierung schwindet die Weltbeobachtung zugunsten einer Bedeutungsaufwertung des Nationalen und vor allem des Regionalen. Die öffentlichen Rundfunkprogramme, vor allem das Radio, sowie die ĂĽberregionalen Abonnementszeitungen tragen (wie auf nationaler Ebene) am meisten zu einer relevanten Auslandberichterstattung bei. Allerdings ist auch hier die Welt geschrumpft. Die neuen Medien – Gratiszeitungen und die Newssites -, jedoch auch gewichtige regionale Abonnementszeitungen reduzieren die Welt auf Agenturmeldungen. Nutzgruppen, die diese Medien konsumieren, nehmen eine Welt jenseits der Schweiz zur Kenntnis, die nur noch aus einer Abfolge von Krisen, Kriegen, Katastrophen und Affären besteht.
  • Softnews und Allroundjournalismus: Primär die Abonnementszeitungen, die Sonntagszeitungen, die öffentlichen Programme des Radios sowie etwas weniger das öffentliche Fernsehen sorgen fĂĽr eine einordnende, Hintergrundinformation vermittelnde Berichterstattung. Dagegen betreiben die Newssites, die Boulevard- und Gratiszeitungen sowie die Nachrichtensendungen des Privatfernsehens einen kaum spezialisierten, stark Softnews-orientierten Allroundjournalismus. Die zentrale Aufgabe journalistischer Tätigkeit, die Einordnung von Ereignissen auf der Basis profunder Recherche, findet in diesen Medien kaum noch statt (eine Ausnahme bilden Kapitalverbrechen im Boulevard).

Minarettinitiative: Form statt Inhalt

Dass der Qualitätsverlust der Medien in der Schweiz negative Folgen für die Qualität demokratischer Diskurse zeitigt, wurde unter anderem in der Vertiefungsstudie zur Minarettinitiative deutlich. Auffallend ist die Ungleichverteilung zwischen den das Verbot befürwortenden Parteien (drei Viertel der Parteienresonanz) und den ablehnenden Parteien (ein Viertel der Parteienresonanz). Damit kehren sich in der Medienberichterstattung die Mehrheitsverhältnisse im Parlament exakt um. PR-Aktionen wie das Minarettplakat oder das Minarettspiel erreichen intensive mediale Beachtung. Entsprechend ist die Diskussion stark durch eine Fokussierung auf Formfragen (Stil, Tabubrüche) anstatt auf Inhalte charakterisiert.

Finanzkrise: Seismograph funktionierte nicht

Die seismographische Funktion, frühzeitig vor der Finanzkrise zu warnen, wurde von der Wirtschaftsberichterstattung nicht erfüllt, wie die zweite Vertiefungsstudie zeigt. Die Krise wurde erst sehr spät, d.h. seit der zweiten Hälfte 2007 erkannt. Erst dann fand eine intensive Inflation der Krisenthematisierung statt, die jedoch nach der ersten positiven Quartalsabschlüssen im Finanzsektor einer noch rascheren Deflation der Berichterstattung weicht, obwohl grundlegende Probleme nicht gelöst sind. Schuld daran ist nicht zuletzt der Wechsel von einer an gesamtgesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Belangen interessierten Wirtschaftsberichterstattung zu einer Fokussierung auf einzelne Unternehmen, ihre Performance und ihr Führungspersonal seit den 1990er-Jahren. Der Wirtschaftsjournalismus hat sich auf Quartalsabschlüsse geeicht und übergreifende Entwicklungen aus dem Blick verloren.



Website zum Jahrbuch "Qualität der Medien - Schweiz Suisse Svizzera"

Hauptbefunde des Jahrbuchs 2010 "Qualität der Medien - Schweiz Suisse Svizzera"